Aquaristik ohne Geheimnisse

© Dr. Gerd Kassebeer 02.2003

Altwasser?

Kann man auf den regelmäßigen Wasserwechsel in einem Aquarium verzichten?

1.) Diskussionen

Im Internet wurde in den letzten Monaten recht intensiv über Altwasser diskutiert, d. h. über den bewussten Verzicht auf den regelmäßigen periodischen Teilwasserwechsel! Es wurden von den Gegnern besonders die Risiken beschworen, die beim Betreiben eines Altwasserbeckens bestehen!
Altwasser wird zwar nach wie vor überwiegend abgelehnt, aber der Ton der Gegner gegenüber den wenigen Neutralen und sehr wenigen Befürwortern ist wenigstens moderater geworden. Einige Leute haben Versuche mit einem Altwasserbecken gestartet, um sich selbst ein Bild zu machen. Diese Diskussionen haben mich bewogen, meine langjährigen Erfahrungen und Kenntnisse mal zu ordnen und niederzuschreiben. Bei dieser Arbeit bin ich zu einem überraschenden Ergebnis gekommen!

2.) Überzeugungen

In älterer Aquarienliteratur misst man dem Aquarienwasser besondere Kräfte zu und gießt in ein neues Aquarium Wasser aus einem alten, in der Hoffnung, damit positive Dinge zu übertragen (vielleicht als Beimpfung gedacht?).
Heute wechselt man wöchentlich einen Teil des Wassers, und glaubt, damit einen wesentlichen Teil der akkumulierten "Schadstoffe" aus dem Becken herauszubekommen. Das Aquarienwasser hatte früher einen positiven Touch, heute einen negativen!
Beispielsweise gilt heute Nitrat als Schadstoff für Fische, obwohl durch keine wissenschaftliche Publikation gestützt. Sicher ist es unter bestimmten Randbedingungen ein Indikator für die Überdüngung des Wassers, aber trotzdem kein Schadstoff!
Diese Überzeugungen belasten die Sachdiskussion erheblich und machen sie manchmal unmöglich! Ich musste mir z. B. sagen lassen, daß meine Fische in einer Kloake schwimmen (wegen 80 mg NO3/l) und habe meinerseits mit "Nitrathysterie" gekontert.

3.) Persönliche Erfahrungen

Ich beschäftige mich schon lange mit Aquarien, habe aber erst in den letzten Jahrzehnten versucht, etwas tiefer in die Geheimnisse der aquaristischen Stoffbilanzen einzudringen.
U. a. machte ich eine Reihe von Dauerversuchen ohne Wasserwechsel, zunächst mit dem Ziel, herauszubekommen, welche Katastrophe infolge des unterbliebenen Wasserwechsels passiert. Einige Parameter wurden dabei wöchentlich kontrolliert für über ein Jahr!

Hier ist das Ergebnis des ersten Versuchs:

Der Leitwert stieg erst von 300 auf 800 µS/cm, wurde dann konstant, der pH fiel, stieg wieder auf 7 und blieb dann konstant, die GH stieg an von 10 und blieb dann konstant bei etwa 20°dGH.
Die KH fiel langsam von 6 auf 2 und blieb dann bei 2°dKH. Der Mulm nahm zu, die Pflanzen mussten reduziert werden, um Schwimmraum für die Fische zu schaffen! Die Katastrophe blieb aus! Kein Fisch starb, keine Pflanze ging ein! Die Ergebnisse der Messungen und Beobachtungen verstand ich zunächst nicht!

Ich setzte die Arbeiten fort und machte Fortschritte beim Verstehen, sodaß ich allmählich die rätselhaften Ergebnisse erklären konnte. Eine besondere Bedeutung kam dabei dem Nachweis zu, daß Filterschlamm auch ein schwach saurer Kationenaustauscher ist!

Ca++ + 2 Austauscher-H  ->  2 H+ + (Austauscher)2-Ca

In den letzten Jahren betrieb ich stets einen Teil meiner Aquarien ohne regelmäßigen Wasserwechsel, aber mit analytischer Überwachung, und machte dabei auch Erfahrungen mit der Kultur von Aquarienpflanzen und der Zucht zahlreicher Fischarten. Folgende Pflanzen akzeptierten mein Altwasser nicht:

Nesaea crassicaulis, Ammania gracilis, A. senegalensis, Eusteralis stellata Normalform

Über 40 andere Arten waren mit meinem Altwasser einverstanden! Bei den über 50 Fischarten, die ich vermehrt habe, traten zwar Probleme auf, die aber nur in einem Falle eindeutig mit Altwasser zu tun hatten, nämlich bei Brochis splendens, der nur nach massivem Wasserwechsel laichte! Ich kann nicht ausschließen, daß einige Fischarten aus dem Weichwasserbereich ebenfalls auf häufige Wasserwechsel angewiesen sind!

4.) Sammeln sich Schadstoffe an?

Fische scheiden nach dem Füttern einiges aus, z. B. Kohlendioxid (CO2) und Ammoniak (NH3).

NH3 + CO2 + H2O  ->  NH4+ + HCO3-

Letzteres reagiert mit Wasser und CO2 zu Ammonium (NH4+) und Hydrogenkarbonat (HCO3-). Das Kohlendioxid wird zum Teil von den Pflanzen assimiliert, zum Teil geht es verloren! Das Ammonium (NH4+) wird teilweise von den Pflanzen aufgenommen, teilweise von nitrifizierenden Bakterien zu Nitrat oxidiert (Nitrifikation):

NH4+ + 2 O2  ->  HNO3 + H+ + H2O

Wenn reichlich gefüttert wird und die Pflanzen die Stickstoffverbindungen nicht restlos verbrauchen, sammelt sich Nitrat im Aquarienwasser an. In gleicher Weise geschieht das mit Phosphat! Die gelben bis braunen Verfärbungen des (Alt-)Wassers rühren von wasserlöslichen natürlichen Huminstoffen her, die sich aus Mulm und Schlamm bilden, ähnlich wie beim Schwarzwasser.

Ob sich Härtebildner wie Calzium und Magnesium anreichern oder nicht, hängt u. a. von der Zunahme der Ionentauschkapazität des Schlammes ab und vom vorhandenen pH-Wert. Sucht sich der pH einen Wert um 7 aus, dann ist die Kapazität des Schlammes groß. Siehe dazu Abs. 8
Liegt der pH bei 6, dann ist die Kapazität des Schlammes für Härtebildner geringer.

Verfolgt man den Verlauf des Leitwerts, so ist meistens in den ersten Monaten eine leichte Zunahme zu beobachten, die von einer Reihe von Ionen herrührt, die bei der Mineralisation des Fischfutters freigesetzt werden. Das sind z. B. Nitrat, Phosphat, Calcium, Magnesium, Natrium, Kalium, Chlorid, Sulfat, Hydrogenkarbonat, eine Reihe von Spurenelementen usw.. Das Wasser salzt sich also auf!

Schadstoffe im eigentlichen Sinne sind nur die fischtoxischen wie Ammonium und Nitrit, die aber nur beim Einfahren eines Beckens oder nach brutaler Störung der Bakterienpopulation auftreten, sonst an der Nachweisgrenze liegen. Die anderen Endprodukte der Mineralisation sind keine Schadstoffe, sondern Pflanzennährstoffe, die von wüchsigen Pflanzen mehr oder weniger verbraucht werden! Fischurin oder Kot werden durch die Selbstreinigung eines sinnvoll betriebenen Beckens mineralisiert oder als Vorstufen in Mulm oder Schlamm eingebracht und dort durch aufsiedelnde Bakterien weiter zerlegt.

Es können sich also Mineralstoffe ansammeln, die zwar nicht schädlich sind, die aber möglicherweise zu Änderungen der Wasserzusammensetzung (Ionenverhältnis) führen!
Wenn Fische mit mineralischen Nährstoffen nicht optimal über das Futter ernährt werden, holen sie sich die fehlenden Mineralstoffe durch spezielle Organe aus dem umgebenden Wasser. Besonders bei Weichwasser vermutet man, daß starke Abweichungen der Wasserzusammensetzung für die nicht optimal ernährten Fische problematisch werden können!

5.) Mineralstoff-Entsorgung im Altwasser?

Die beiden Schreckgespenste des modernen Aquarianers sind wohl Nitrat über 20 mg/l und Phosphat über 0,5 mg/l. Sie bedeuten eine Überdüngung des Wassers mit den beiden Stoffen, die in der Natur häufig im Minimum sind, und im Aquarium im Verdacht stehen, für Algenplagen verantwortlich zu sein. Disziplin bei Besetzung und Fütterung sowie gute Bedingungen für üppiges Pflanzenwachstum können diese Probleme lösen! Intensive Wasserwechsel können die Stoffe zwar reduzieren, aber das Problem ihrer Entstehung nicht lösen. Wasserwechsel ist hier Kurieren am Symptom!

Was geschieht eigentlich mit den Überschüssen dieser Stoffe im Altwasser?

Sammeln sie sich grenzenlos an? Das tun sie aus ganz verschiedenen Gründen nicht! Macht man regelmäßig Messungen, so fällt auf, daß vor allem die Hauptkomponenten nach einigen Wochen bereits stagnieren, statt weiter zuzunehmen!
Z. B. wurde an einem Becken zunächst die Nitratzunahme ermittelt bei einem 50%igen Wasserwechsel alle 3 Tage. Sie betrug 3 mg NO3/l und Tag. Dann wurde der Wasserwechsel eingestellt. Das Nitrat stieg auf rund 30 mg NO3/l und blieb dann konstant!
D. h., es verschwanden 3 mg NO3/l und Tag! Dieses Phänomen stellte ich auch in anderen Altwasserbecken fest! Der Wert streute allerdings von Becken zu Becken, und zwar zwischen 10 und 80 mg NO3/l, aber war bei jedem Becken im wesentlichen konstant! Für den üblichen einmal wöchentlichen 20%igen Wasserwechsel würde sich rechnerisch aus dem Input von 3 mg NO3/l und Tag und ohne das geheimnisvolle Verschwinden der gleichen Menge ein Nitratgleichgewicht bei 105 mg NO3/l vorm jeweiligen Wasserwechsel einstellen. Dabei wird angenommen, daß das entsorgte Wasser die Nitratmenge enthält, die während des Zyklus zwischen 2 Wasserwechseln gebildet wird.

Eine Bilanzierung des Nitrats gelingt also nicht! Die erwartete Akkumulation bleibt aus. Ein beträchtlicher Teil des Nitrats verschwindet! Erklärbar wird das nur durch eine Nitratatmung spezieller Bakterienarten neben dem Stickstoffverbrauch der Pflanzen (simultane Nitratatmung). So kommt es nur in schlammarmen Becken zu hohen Nitratgehalten, ansonsten bleibt die Akkumulation bei moderaten Werten stehen. In den Fällen, in denen Phosphat angereichert wird, findet man selten mehr als 5 mg PO4/l, meistens nur wenige mg/l. Auch hier der Hinweis, daß Phosphat kein Schadstoff für Fische ist, möglicherweise aber für Pflanzen ein Hemmstoff!

Der Grund für das Stagnieren der Phosphatkonzentration liegt wohl an der Ausfällung als Calciumhydrogenphosphat, das dann in schwer lösliches tri-Calciumdiphosphat übergeht. Das Phosphat verschwindet zwar nicht aus dem Aquarium, aber aus dem Wasser! Es sammelt sich im Filterschlamm. Ein Teil wird auch durch Pflanzen aufgenommen und verwertet. Macht man einen kräftigen Wasserwechsel, so kann man eine Rücklösung des Phosphats beobachten!
GH und LF steigen nur in den ersten Wochen. Dann wird der Kurvenverlauf immer flacher. Ein Faktor wurde schon genannt, das ist die Calciumausfällung als Phosphat. Ein weiterer Faktor ist die Calciumadsorption an Huminstoffe im Schlamm, wobei außer der GH auch die KH sinkt. Bei der Calciumadsorption an Huminstoffen werden H-Ionen frei, die ihrerseits mit Hydrogenkarbonationen zu Kohlendioxid und Wasser reagieren, d. h. die KH reduzieren.

Die KH wird einmal indirekt durch die Calciumadsorption des Schlammes reduziert (siehe letzten Absatz!). Dann kann eine starke Nitrifikation, wobei vorübergehend Salpetersäure entsteht, die KH reduzieren, während die Nitratassimilation der Aquarienpflanzen, das Ausatmen von NH3 durch die Fische, die simultane Nitratatmung durch Bakterien die KH erhöht. Die verschiedenen Einflüsse überlagern sich, und es resultiert meistens ein niedriger stabiler KH-Wert. In einem Altwasserbecken wurde noch nie ein Säuresturz beobachtet!

Ein beachtlicher Teil der Haupt- und Mikronährstoffe wird von den Pflanzen verbraucht der eingelagert, sodaß insgesamt ein Entsalzungeffekt entsteht. Das Ernten der Pflanzen führt zu einer echten Entsorgung von Nährstoffen aus dem Aquarienwasser und zu einer drastischen Verlangsamung der Versalzung. Einige Stoffe bleiben sozusagen übrig. Das sind Natrium, Chlorid, Sulfat teilweise. Sie machen dann einen Teil der LF-Zunahme des Altwassers aus.

6.) Altwasser oder alter Schlamm?

Die aufgeführten Selbstreinigungseffekte lassen sich teilweise mit der Aufnahme von Mineralstoffen durch die Pflanzen verknüpfen, teilweise mit der Adsorption von Mineralstoffen durch Mulm oder Schlamm. Insofern handelt es sich nicht um ein Phänomen, das man dem Wasser zuordnen könnte, denn nennenswerter Stoffwechsel findet im Wasserraum nicht statt, ist auch nicht erwünscht, sondern an der Pflanze oder am mehr oder weniger durchströmten Schlamm.

Damit ist nun eigentlich der Mythos Altwasser entzaubert!
Oder ist er das nicht?

Das Wasser ist ein bloßes Transport- und Mineralstoffsammelmedium, nicht mehr und nicht weniger. Die wesentliche Rolle beim Stoffwechsel des "Altwasserbeckens" spielt neben den Pflanzen der reife oder alte Schlamm und/oder Mulm. Das Alter ist insofern wichtig, als daß doch ein gewisses Volumen für die Wasserreinigungsvorgänge gebraucht wird, sowie ein gewisser Reifegrad der Bakterienpopulation erreicht sein muß. Also einige Monate braucht es schon, und es müssen Mulm und Schlamm in Ruhe gelassen werden!

7.) Frischwasser und alter Schlamm?

Da das Altwasser beim Altwasserbecken eine untergeordnete Rolle spielt, kann man es selbstverständlich von Zeit zu Zeit durch Frischwasser ersetzen, ohne die Selbstreinigungsleistung des alten Schlammes in Frage zu stellen. Die Altwasserfreunde wären damit zufrieden, denn das bisschen Wasserwechsel stört sie wohl nicht und die Frischwasserfreunde hätten, so oft sie wollten, frisches Wasser, ohne auf den besonderen Komfort eines Altwassers verzichten zu müssen.

8.) Die Adsorption von Calcium-Ionen durch Filterschlamm.

Dazu isolierte ich 0,5 l Schlamm aus einem Mattenfilter, spülte ihn mehrfach mit Leitungswasser und ließ in 1 l Leitungswasserstehen. Es kam dann innerhalb von 2 Tagen eine KH-Absenkung von 3,5°dKH auf 0,7°dKH.
Anschließend wurde der Schlamm per HCl auf pH 4 angesteuert. Es wurden anschließend 25°GH Gesamthärte gemessen, die zum größten Teil aus Calcium besteht.

9.) Verteilung der Bakterienpopulation im Aquarium

Die Bakterienpopulation ist ungleichmäßig im Aquarium verteilt. Beim Vorhandensein eines durchströmten Mattenfilters ist der größte Anteil im Filter sowie im Mulm. Bedeutende Anteile besiedeln Pflanzen und Bodengrund. Nur ein kleiner Bruchteil besiedelt das freie Wasser. Im Falle einer großen und reifen Bakterienpopulation ist der Anteil im freien Wasser besonders gering. Wird der Schlamm dagegen gestört, aufgerührt, reduziert, so erhöht sich der Anteil im freien Wasser.

10.) Das Anfahren eines Altwasserbeckens?

Im Startstadium ist ein Alt- nicht von einem Frischwasserbecken unterscheidbar. Es gibt keine speziellen Prozeduren. Die Akkumulation spielt noch keine Rolle. Der Nitritpeak kommt bei unzureichender Beimpfung genauso wie in anderen Becken. Erst nach einigen Monaten unterscheiden sich die Zusammensetzungen deutlich voneinander. Erst dann kann man eigentlich von einem Altwasser sprechen.
Übrigens lassen sich beide Aquarientypen nicht strikt unterscheiden. Ein Becken mit z.B. 20% Wasserwechsel pro Woche bekommt nach einigen Wochen eine typische Altwasser-Zusammensetzung, wie schon am Nitratwert erläutert!

11.) Fazit

Das Geheimnis des Altwassers hat also mit Altwasser nichts zu tun. Das alte Wasser hat lediglich eine marginale Bedeutung als Sammelmedium für Mineralisationsprodukte. Die wichtigsten Funktionen des eingefahrenen Beckens liegen im Mulm und Schlamm, nicht im Wasser. Insofern ist der Wasserwechsel weniger wichtig als zuvor geglaubt.
Autor: Dr. Gerd Kassebeer   Stand: 2003-02-01   File: http://www.deters-ing.de/Gastbeitraege/Altwasser_.htm   User online: 3