Aquaristik ohne Geheimnisse

Dr. Gerd Kassebeer

Die Geschichte vom alten Schlamm

1. Leitfaden

Dr. Zernecke

Dr. Zernecke

1906 erschien die 3. Auflage des "Leitfaden für Aquarien- und Terrarien-freunde" von Dr. E. Zernecke. Im Abschnitt "Die Instandhaltung des Aquariums" heißt es auf S. 398 unter anderem:

"In einem sachgemäß eingerichteten und bepflanzten Aquarium muß das Wasser trotz jahrelanger Benutzung und Nichterneuerung klar und durchsichtig bleiben!"

Dieses Zitat und mehrere ähnliche aus der gleichen Zeit beweisen: Unsere Vorväter wechselten das Wasser nicht! Sie waren davon überzeugt, daß Altwasser das Richtige für ihr Aquarium ist. An anderer Stelle im zitierten Buch wird die biologische Funktion der sich bildenden Schlammschicht gerühmt. Dies scheint im Widerspruch zu unseren heutigen Erfahrungen zu stehen. Heute sind der wöchentliche Teilwasserwechsel und das Absaugen von Mulm Routine bei den meisten von uns Aquarianern. Diejenigen, die es nicht tun, haben zum Teil ein schlechtes Gewissen. Sie meinen, eigentlich sei es ihre Pflicht. Auch ich wechselte jahrelang mein Aquarienwasser wöchentlich. Ich war der Überzeugung, etwas Richtiges und Notwendiges zu tun. Trotzdem wuchs in mir der Verdacht, das sogenannte Altwasser unserer Vorväter könnte doch einen biologischen Sinn haben. Um das herauszufinden, begann ich zu experimentieren

Der erste Versuch fand in einem 15 Liter-Becken statt. Ein Büschel Wasserstern, eine Gruppe Moderlieschen, ein Brillantfilter mit zwei Schaumstoffpatronen und Luftantrieb, sowie eine starke Beleuchtung waren die Ausstattung. Die Fische waren fröhlich und guter Dinge, da sie täglich Lebendfutter bekamen. Auf dem Boden bildete sich eine dicke Mulmschicht. Die Filterpatronen verstopften gelegentlich und wurden durch Drücken wieder gängig gemacht. Das verdunstete Wasser wurde durch Leitungswasser ersetzt. Der Wasserstern bildete eine dicke Schicht an der Oberfläche und stagnierte dann. Er wurde nicht geerntet!

Wöchentlich wurde pH und Härte gemessen. Der pH sank in 3 Monaten von 7,5 auf 6, stieg nach weiteren 3 Monaten auf 7,0 und blieb dort bis zum Abbruch des Versuchs. Die Härte stieg in 6 Monaten von 10°dH bis auf 20°dH und blieb dann konstant. Nach gut einem Jahr wurde der Versuch abgebrochen, weil sich einfach keiner der Parameter mehr änderte.

Das Ergebnis dieses ersten Altwasser-Versuchs verblüffte mich, da ich entweder einen pH-Sturz oder eine extreme Aufhärtung erwartet hätte. Viele Jahre lang verstand ich nicht, was hier geschehen war. Ich konsultierte Fachleute, Chemiker und Mikrobiologen, beschaffte mir eine Fülle von Fachliteratur und suchte nach einer Erklärung, aber zunächst vergeblich.

Weitere Experimente folgten. Immer mehr Parameter wurden gemessen. Riesige Datenfriedhöfe entstanden. Ich begann, mich für die Denitrifikation zu interessieren. Hier schien die Lösung meines Rätsels verborgen zu sein. Damit kam ich der Sache schon näher. Schließlich fand ich sie ganz woanders, nämlich auf Kläranlagen. Es war nicht das Altwasser, des Rätsels Lösung lag in den Eigenschaften des Schlammes!

2. Der Hamburger Mattenfilter

Mattenfilter

Mattenfilter

Doch nun zunächst zum Hamburger Filter. Was ist das?

Es handelt sich um eine im Aquarium, meistens an der Seitenwand, stehende Schaumstoffmatte, die quer zur Fläche durchströmt wird. Eine Kreiselpumpe oder luftgetriebene Mammutpumpe treibt den Wasserstrom an. Der Filterschlamm sammelt sich in der Schaumstoffmatte, hauptsächlich an der Anströmseite. Aufgrund des großen Querschnitts und der geringen Tiefe ist die Strömungsgeschwindigkeit viel geringer als bei einem handelsüblichen Saugfilter. Daher gibt es praktisch kaum eine Gefahr der Verstopfung. Früher glaubte ich, diesen Filter erfunden zu haben, aber das war ein Irrtum! Heute weiß ich, daß Vater und Sohn Baensch von der Firma Tetra ihn schon 1971 als Patent anmeldeten. Sie publizierten darüber, nutzten diese Idee aber nicht kommerziell.

Ohne davon zu wissen, fing ich drei Jahre später an, diesen Filter intensiv zu untersuchen, und zeigte ihn im Oktober 1981 erstmals der Öffentlichkeit. Es war im Rahmen einer Aquarienausstellung in Norderstedt. 12 Meterbecken waren mit diesem Filter ausgerüstet. Heute freue ich mich, daß er inzwischen zumindest unter Züchtern weit verbreitet ist. Zu seinen Vorteilen zählen der kostengünstige Eigenbau und das sehr große Filtervolumen. Dazu kommt, daß man ihn beim Füttern mit Futter aller Art nicht abzustellen braucht. Weder Daphnien noch Artemia-Nauplien werden angesaugt, wenn man ihn mit etwa 5 cm/min. durchströmt. Weitere Vorteile sind, daß man ihn praktisch nicht zu reinigen braucht und daß er glasklares Wasser auch bei höchster Belastung erzeugt. Er ist einer der leistungsfähigsten Filtertypen, die ich kenne. Den entscheidenden Grund für seine enorme biologische Leistungsfähigkeit habe ich erst im Nachhinein erkannt. Es ist der Schlamm!

3.Biologische Kläranlagen als Modell für Aquarienfilter

Kläranlage

Kläranlage

Moderne kommunale Kläranlagen reinigen Abwasser weitgehend von organischen Stoffen, Schwermetallen, Stickstoff- und Phosphorverbindungen. Das entscheidend wichtige Mittel für diese Reinigungsleistung ist der Belebtschlamm. Im Nachklärbecken wird er vom gereinigten Abwasser abgetrennt und weiter vorne dem mechanisch gereinigten Abwasser wieder zugefügt. Er wird also im Kreise gefahren. In hochbelasteten Anlagen nimmt die Menge des Belebtschlamms ständig zu, sodaß täglich etwa 10% aus dem Kreislauf entfernt werden müssen.

Bei schwach belasteten Anlagen ist das nicht notwendig. Hier nimmt die Menge des Belebtschlamms kaum zu. Sie bleibt nahezu konstant! Dieser Schlamm ist biologisch ungewöhnlich leistungsfähig! Im gezeigten Schema ist u. a. dieser Schlammkreislauf sowie der Weg des Überschußschlamms erkennbar. Das Beispielhafte an den Kläranlagen ist nicht etwa die Bau- oder Betriebsweise, sondern die Nutzung des Schlammes sowie sein Alter. Die Kläranlage soll in der Aquaristik nicht technisch nachgeahmt werden, sondern nur die mikrobiologischen Prinzipien übertragen werden.

Viele der im Handel erhältlichen Aquarienfilter arbeiten mit hohen Filtriergeschwindigkeiten und neigen zur Verstopfung. Sie müssen häufig gereinigt werden. Dadurch wird verhindert, daß der Schlamm alt wird. Das kann verheerende Konsequenzen haben, wie wir noch sehen werden, vor allem, wenn man zu gründlich reinigt!

Bakterielle Besiedlung von neuen bzw. gereinigten Aquarien

Ideale Vermehrung
einer Bakterienart
Zeit (Stunden) Bakterienzahl
0 1
1 8
2 64
3 512
4 4096
5 32768
6 262144
7 > 2 Millionen

In der nebenstehenden Tabelle wird die Vermehrung einer schnellwüchsigen Bakterienart unter idealen Bedingungen dargestellt. Eine Zellteilung erfolgt hierbei alle 20 min. Wir sehen, daß nach nur 7 Stunden aus einem Bakterium über 2 Millionen geworden sind. Grundbedingungen für die mikrobielle Besiedlung eines Aquariums sind das Vorhandensein von Nahrung und Bakterien. Nahrung wird durch Fischfutter, Ausscheidungen von Fischen sowie zerfallende Pflanzen gebildet. Die Nahrung ist zum Teil gelöst, zum Teil suspendiert. Bakterien sind in geringer Zahl, aber großer Artenfülle stets vorhanden. Die meisten Arten vermehren sich bei gutem Nahrungsangebot sehr schnell. Sie brauchen nicht geimpft zu werden.

4.1 Bakterienzelle

Bakterienzelle

Bakterienzelle

Der Mechanismus der Veratmung gelöster Substanzen wird stark vereinfacht in der Abbildung dargestellt. Dabei werden die Substanzen durch die Zellwand aufgenommen, mit Sauerstoff veratmet und als Kohlendioxid und Wasser ausgeschieden. Auf diese Weise betreiben sowohl freilebende als aufsitzende bzw. geflockte Bakterien ihren Stoffwechsel.

Zellentwicklung

Zellentwicklung

Zellentwicklung

Man kann davon ausgehen, daß in einem neueingerichteten oder generalüberholten Aquarium innerhalb eines Tages genügend Bakterien zur Verfügung stehen, um den Überschuß an gelösten organischen Stoffen zu beseitigen. Bei dem anschließend eintretenden Nahrungsmangel kommt die Vermehrung zum Erliegen. Ist in der Folgezeit das Nahrungsangebot konstant, so wird auch die Zahl der Zellen einer Art konstant. Zuwachs und Verlust halten sich in Waage. Das zeigt auch die Kurve in der gezeigten Abbildung. Während nun die Bakterienarten, die von gelösten organischen Substanzen leben, sehr schnell ihre Aufgabe meistern, sieht das z. B. bei den nitrifizierenden Bakterien ganz anders aus. Ammoniumoxidierer z. B. brauchen schon etwa drei Tage, um den Ammoniumanstieg abzufangen. Die Nitritoxidierer sind noch deutlich langsamer. Sie haben Teilungsraten von etwa 24 Stunden. Mehr davon später.

Zellzahlen

Gutes Aquarienwasser: ~10^5 Zellen pro Milliliter
Schlechtes Aquarienwasser: >10^6 Zellen pro Milliliter
Mulm oder Schlamm: ~10^12 Zellen pro Milliliter
In der Startphase der bakteriellen Besiedlung sind die Bakterien im freien Wasser verteilt bzw. besiedeln alle Oberflächen. Bei Zelldichten von über 1 Million pro Milliliter sind sie schon als weiße Trübung erkennbar. Nach einigen Stunden bis Tagen wird das Wasser plötzlich klar. Die Bakterien bilden nach der Phase der schnellen Vermehrung im freien Wasser bei Nahrungsmangel Flocken aus, die sich als Filterschlamm und/oder als Mulm abscheiden. Das Prinzip der Flockenbildung ist laut Literatur noch nicht vollständig geklärt. Für den Betrieb einer Kläranlage ist die Flockung von ausschlaggebender Bedeutung. Ohne Flockung und Sedimentation keine Abtrennung des Schlamms vom Wasser. Nichts fürchtet der Klärwerker mehr, als daß ihm der Schlamm wegfließt. Offenbar tritt eine Konkurrenz zwischen flockenbildenden und nicht flockenbildenden Arten auf. Bei schwacher Belastung sind die flockenbildenden Arten im Vorteil.

Die im Schlamm in großer Zahl vorhandenen Protozoen ernähren sich überwiegend von suspendierten Bakterien und bringen vermutlich die geflockten Bakterien in Vorteil.

Die frei verteilten Bakterien gehen stark zurück. Im Aquarium spielt die Flockung ebenfalls eine entscheidende Rolle. Ohne Flockung würde das Wasser trübe bleiben. Ein Zahlenbeispiel gibt die Abbildung wieder. Die Flocken bilden sich normalerweise im Filter, aber auch auf dem Aquarienboden oder den Pflanzenblättern. In den Flocken reichern sich später außer den Bakterien auch Sedimentteilchen, Kolloide und anorganische Komponenten wie Eisenhydroxid und Calciumphosphate an. Je besser die Flockung ist, um so klarer wird das Wasser. Gelingt es die Wasserreinigung in den Flocken ablaufen zu lassen, so wird das freie Wasser praktisch nicht mehr von Bakterien besiedelt, d. h. die Zelldichten sinken unter 100 000 pro Milliliter. Ist der Siedlungsraum für die Flocken aber zu klein und kein Platz für eine Mulmschicht oder das Nahrungsangebot zu hoch, so bleibt ein Teil der Bakterien im Wasser suspendiert, und es bleibt trübe. Soetwas kommt besonders bei stark besetzten Cichlidenbecken ohne Pflanzen vor.

Zeit (Tage) Bakterienzahl
0 1
3 8
6 64
9 512
12 4096
15 32768
18 > 2 Mio
An der Reinigung des Aquarienwassers ist eine große Zahl von Bakterienarten beteiligt. Sie konkurrieren zum Teil miteinander, meistens aber ergänzen sie sich. Die verschiedenen Arten bearbeiten verschiedenene Teilschritte eines Abbauvorgangs nacheinander. So sind z. B. an der Oxidation des Ammoniums zum Nitrit andere Arten beteiligt als an der darauf folgenden Oxidation des Nitrits zum Nitrat. In Tabelle 2 wird die Vermehrungsrate eines nitrifizierenden Bakteriums gezeigt. Hierbei ist eine Teilungsrate von 24 Stunden zugrunde gelegt. Nitritoxidierende Bakterien brauchen im Durchschnitt etwa 2 Wochen, um sich bis zu einer Zellzahl zu vermehren, die ausreicht, die Nitritkonzentration im Aquarium niedrig zu halten.

4.4>Einlaufphase

Einlaufphase

Einlaufphase

Die Kurve zeigt zunächst einen Ammoniumanstieg, der von einem Nitritanstieg abgelöst wird. Für die Nitritoxidation sind zunächst nicht genügend geeignete Bakterien vorhanden. In dieser Zeitspanne kann die Nitritkonzentration toxische Werte annehmen, wie das Diagramm zeigt. Je gründlicher gereinigt wurde, um so länger ist die Zeitspanne für toxische Konzentrationen, um so eher sind die Fische dem Vergiftungstod ausgesetzt. Üblicherweise kommt der Nitrit-Tod etwa eine Woche nach der Neueinrichtung eines Beckens.

5. Der Abbau der Stickstoffverbindungen im Aquarium

Stickstoffverbindungen werden hauptsächlich als Futter in Form von Proteinen und stickstoffhaltigen Gerüstsubstanzen in das Aquarium gegeben. Die Fische scheiden diese Stoffe teils unverdaut aus, teils in Form von Harnstoff und Ammonium. Harnstoff wird in wenigen Minuten durch das Enzym Urease in Ammonium und Kohlendioxid zerlegt.

Die stickstoffhaltigen Gerüstsubstanzen wie Rohfaser oder Chitin werden durch Bakterien besiedelt und sehr langsam abgebaut unter Freisetzung von Ammonium und anderen Stoffen. Ammonium wird in Gegenwart von Sauerstoff über Nitrit zum Nitrat oxidiert. Bei Aquarien mit dominierendem Fischbesatz wird das Nitrat im Aquarienwasser angehäuft. Durch Verdrängung des Hydrogencarbonats kann es gefährliche pH-Absenkungen verursachen. Es gibt verschiedene Wege, das zu vermeiden. Am einfachsten ist die Beseitigung von Ammonium und Nitrat durch intensiv wachsende Stengelpflanzen sowie sparsame Fütterung der Fische.

Nitratfilter

Nitratfilter

Nitratfilter

Eine gute Methode, den Nitratanstieg in Grenzen zu halten, ist auch der eingangs erwähnte regelmäßige Teilwasserwechsel. In schweren Fällen setzt man einen speziellen Filter zur Beseitigung des Nitrats ein. In der Literatur wird über verschiedene Nitratfilter-Methoden berichtet. Der in der Abbildung gezeigte Filter ist eine Eigenentwicklung. Er ist noch im Versuchsstadium.

Das Prinzip ist folgendes: Er wird langsam vom Aquarienwasser durchflossen. Der Durchfluß wird durch Luft angetrieben. Das Paraffin wird langsam von Bakterien abgebaut. Es liefert die veratembare Substanz für die Reduktion des Nitrats zu Stickstoff. Die passenden Bakterien siedeln sich in wenigen Wochen an, ohne daß der Filter beim Start beimpft werden mußte. Des weiteren gibt es noch die simultane Denitrifikation. Sie ist erst vor wenigen Jahren von holländischen Mikrobiologen entdeckt worden. Sie findet im Inneren des Filterschlamms und/oder Mulms bei hoher Belastung statt. Ammonium wird hierbei nicht bis zum Nitrat oxidiert, sondern über das Nitrit zum Stickstoff umgewandelt. Randbedingungen sind das Vorhandensein organischer Substanz und wenig Sauerstoff sowie eine eingespielte Bakterienflora. Es ist noch nicht ganz klar, ob diese Vorgänge an einem Ort oder z. B. nebeneinander außen auf und innen in der Flocke stattfinden. Wegen dieser simultanen Denitrifikation endet die Ansammlung des Nitrats in einem Aquarium mit alten Schlamm bei einem verhältnismäßig niedrigen Wert, der von den Randbedingungen abhängt, so etwa zwischen 2 und 50 Milligramm pro Liter Nitrat. Eine dieser Bedingungen ist ein großes Schlammvolumen, das langsam durchströmt wird. Die simultane Denitrifikation verhindert einen pH-Sturz, weil das vorhandene Hydrogencarbonat nicht mehr völlig aufgebraucht wird. Dieser Vorgang erklärt auch den pH-Verlauf meines eingangs geschilderten Altwasser-Experiments, nicht aber die Stagnation der Härte. Die simultane Denitrifikation in meinem Experiment brauchte etwa 6 Monate, um für ein stabiles Wasser zu sorgen! Auf die Stagnation der Härte komme ich noch zurück. Sie ist ebenfalls ein Resultat des alten Schlamms.

6. Eigenschaften des alten Schlammes

Frischer Schlamm besteht fast ausschließlich aus Bakterien vieler verschiedener Arten. Je saurer das Milieu ist, um so größer ist der Anteil von Hefen bzw. Pilzen im Schlamm. Bei einem pH-Wert von 4 in einem adaptierten Schlamm findet die vollständige Mineralisierung abbaubarer Stoffe genau so schnell und gründlich statt, wenn auch mit einem anderen Artenspektrum von Mikroorganismen, wie bei pH 7,5. Das widerspricht zwar manchen Angaben in der Literatur, aber in meinen Aquarien funktioniert es, und in Moortümpeln auch. Bei diesem niedrigen pH scheint aber die simultane Denitrifikation nicht oder behindert abzulaufen.

Alter Schlamm bewirkt:

Älterer Schlamm reichert allmählich verschiedene Stoffe an, z. B. Cellulose, Lignin, Chitin, Rohfaser, Huminstoffe, Eisenhydroxid, Eisenphosphate, Calciumphosphate, Schwermetalle aller Art. Bei meinen Altwasserversuchen fiel mir auf, daß die Konzentration von Phosphat nie über 6 Milligramm pro Liter stieg. Dafür fand sich inzwischen eine einfache Erklärung: Phosphat bildet mit Schwermetallen wie Eisen sowie mit Calcium schwerlösliche Salze. Diese Salze fallen aus und gelangen in den Filterschlamm.

Das erklärt zwanglos die Stagnation der Härte. Einen Tag nach einem Wasserwechsel war bei meinem Aquarium die Phosphatkonzentration wieder so hoch wie zuvor, eine Folge der Rücklösung des Phosphats aus dem Schlamm.

Das gleiche auch beim pH. Der pH-Anstieg nach einem Wasserwechsel bildete sich in kurzer Frist zurück. Möglicherweise wirken hier wie in einem Humusboden Huminstoffe als Puffersubstanzen. Andererseits werden die schwer abbaubaren organischen Stoffe, wenn auch langsam, aber stetig mineralisiert. Die dazu nötigen Bakterien siedeln sich erst in älterem Schlamm an. In jüngeren sind sie noch nicht enthalten. Der Gelbstich eines Altwassers besteht nicht etwa aus dem Urin der Fische, sondern aus wasserlöslichen Fulvosäuren, die beim Abbau von Huminstoffen entstehen. Es sind übrigens schwache Komplexbildner, die Spurenelemente wie Eisen und Kupfer in sehr kleiner Konzentration in Lösung halten. Künstliche Komplexbildner wie EDTA werden nach einer mehrmonatigen Adaptationsphase durch Bakterien abgebaut. Wenn Sie regelmäßig mit Fetrilon oder anderen eisenhaltigen Düngern arbeiten, so können Sie nach einigen Monaten feststellen, daß ihr Eisen bereits nach einigen Stunden nicht mehr nachweisbar ist. Gelöste Schwermetalle werden absorbiert, als unlösliche Phosphate, Hydroxide oder Carbonate festgehalten. Andererseits werden stets kleine Konzentrationen im Mikrogramm-pro-Liter-Bereich freigesetzt, die zur Versorgung der Pflanzen ausreichen. Pharmazeutika werden sehr schnell absorbiert, sodaß ihre erwünschte Wirkung unter Umständen nicht eintritt. Dosiert man stärker, so schädigt man einen Teil der Bakterienflora.

Cellulose

Abbau von Cellulose

Abbau von Cellulose

Die festen organischen Stoffe werden von spezialisierten Bakterien besiedelt und sehr langsam mineralisiert. Bei der Cellulose handelt es sich um Arten, die das Enzym Cellulase besitzen. In der Abbildung wird stark vereinfacht gezeigt, wie dieses Enzym durch die Zellwand ausgeschieden und die Produkte dieses Abbaus durch die Zellwand aufgenommen werden. Dieser Abbau von fester Substanz sorgt für eine ständige Freisetzung von Kohlendioxid und Spurenelementen und trägt damit zur Nährstoffversorgung der Pflanzen bei. Außerdem schrumpft dadurch das Schlammvolumen. Es wird allerdings auch Sauerstoff verbraucht, und zwar fast doppelt so viel wie bei regelmäßiger Beseitigung des Schlamms. Wenn nicht belüftet wird, stellt sich eine niedrige Sauerstoffkonzentration ein. Dieser Effekt kann nicht zu einem Umkippen des Filters führen, es sei denn, daß der Durchsatz 10% des Beckens pro Stunde unterschreitet. Dann allerdings findet der Hauptteil des biologischen Abbaus schon im Aquarium selbst statt, und nicht mehr im Filter. Das wiederum ist nicht erwünscht! Der Schlamm enthält eine Fauna, die sich von Bakterien ernährt. Unter den einzelligen Tierchen (Protozoen) sind die Pantoffeltierchen und Glockentierchen am bekanntesten. Außerdem kommen noch Nematoden, Rädertierchen und eventuell Hüpferlinge und kleine Schnecken vor. Diese Fauna sorgt bei einem alten Schlamm mit für das Nullwachstum.

Schlammvolumen

Schlammvolumenentwicklung

Schlammvolumenentwicklung

Das Diagramm zeigt einmal die störungsfreie Ausbildung eines Schlamms bis zur Volumenkonstanz. Dieser Prozeß setzt einen genügend großen Filter voraus, z. B. den Hamburger Filter, oder die Ausbildung einer Mulmschicht auf dem Boden des Aquariums. Die Zickzacklinie zeigt die Entwicklung des Schlammvolumens bei wöchentlicher Filterreinigung. Was nicht im Diagramm gezeigt werden kann, ist die permanente Störung des Artenspektrums des Schlammes, das sich nicht zu einem Optimum entwickeln kann.

Ist das besiedelbare Filtervolumen zu klein, so bildet sich entweder eine Mulmschicht oder der Filter verstopft. Schlamm muß durchströmt werden, um optimal wirksam zu sein. Weitaus am wirksamsten ist die angeströmte Schlammflocke, z. B. in einer Schaumstoffplatte senkrecht zur Fläche. Mikroporöse Filterstoffe werden zwar besiedelt, nur trägt die Flora innerhalb der Mikroporen kaum zur Wasserreinigung bei. Der Grund ist, daß die Mikroflora im Innern des Materials nicht durchströmt wird, sondern der Stoffwechsel nur durch Diffusion angetrieben wird. Die Geschwindigkeit der Diffusion, die hier beim Stoffaustausch an die Stelle der Strömung tritt, ist extrem geringer. Offenporiger Schaum voll alten Schlammes, mit großem Strömungsquerschnitt, ist optimal. Für Züchter hat der alte Schlamm in der Schaumstoffmatte noch interessante Nebeneffekte. Zahlreiche Arten von Fischen, wie viele Lebendgebärende oder Saugwelse, ernähren sich zumindest teilweise von der Fauna des Schlammes, indem sie die Matte abweiden.

Der Filter stößt ständig einen Teil seiner Schlammfauna mit dem Filtrat aus, was für Fischlarven ein ideales feines Lebendfutter darstellt. Hungernde Bakterien sind in der Lage, aus dem umgebenden Wasser gelöste Stoffe in sehr geringer Konzentration aufzunehmen und in der Zelle anzureichern. Sie verfügen dafür über verschiedene Aufnahmemechanismen. Das erklärt, warum sie so reines Wasser erzeugen können. Immerhin werden auch bei der Trinkwasserreinigung Bakterien eingesetzt, z. B. zur Beseitigung von Ammonium oder von Nitrat.

Fazit

Bakterien bestimmen entscheidend die Geschehnisse im Aquarium mit, ob wir das wollen oder nicht! Bei einem gewissen Verständnis der mikrobiologischen Vorgänge können wir jedoch die Bakterien bei ihren wichtigen Aufgaben unterstützen bzw. Fehler bei der Wasserpflege vermeiden. Was die Technik der Filtration betrifft, ist meines Erachtens ein Umdenken sowohl beim Aquarianer als auch bei den Herstellern notwendig! Nur die Pflege des Schlammes führt zu reinem und bakterienarmem Wasser!
Autor: Dr. Gerd Kassebeer   Stand: 1997-07-01   File: http://www.deters-ing.de/Gastbeitraege/Mulm.htm   User online: 3