Aquaristik ohne Geheimnisse

Dr. Gerd Kassebeer ; Aquaristik-Fachmagazin 163, S.163/049 2/91, S. 40/017

Der Leitwert in der Aquaristik

Eine einfache physikalische Messung mit hoher Aussagekraft

Die in Ionenform im Wasser gelösten Stoffe rufen eine elektrische Leitfähigkeit hervor, die auf einfache Weise meßbar ist. Wir messen sie, aber was sagt sie uns? Wer interpretiert den Meßwert? Die einschlägigen Autoren im Bereich der Aquaristik haben sich dabei bisher bemerkenswert zurückgehalten. Hier scheint aber ein Bedarf an Information vorzuliegen, oder ich habe beim Suchen etwas übersehen?

1.) Die Messung und was dann?

Das kleine Gerät wird in die Hand genommen und eingeschaltet, die damit verbundene Meßzelle in das Wasser getaucht (aber bitte nicht mitsamt dem Kabel!), der Meßwert (in der Aquaristik falsch, aber einfach Leitwert genannt) abgelesen und zusammen mit der Meßtemperatur notiert. Die übliche Maßeinheit für die elektrische Leitfähigkeit ist das Mikrosiemens pro Zentimeter, abgekürzt µS/cm, nicht etwa µS! Das ist zwar gebräuchlich, aber falsch.

Beispiel 1: Kontrollieren wir das Permeat einer Umkehrosmose-Anlage und finden einen Meßwert von 20 µS/cm. Das Permeat ist also in Ordnung. Eine Begründung dafür folgt.

Beispiel 2: Wir messen in einem Seewasserbecken und finden 54000 µS/cm. Ein Blick in die Tabelle: 35 Promille. Die Salzkonzentration des Seewassers ist also in Ordnung.

Beispiel 3: Wir messen im Süßwasser-Aquarium 600 µS/cm, im Leitungswasser aber 300 µS/cm. Wir schließen daraus, daß ein Teilwasserwechsel überfällig ist. Damit sind einige Anwendungsfelder für eine solche Messung beispielhaft angeführt.

Leitfähigkeit von Seewasser bei 25°C

Salinität
(Promille)
Dichte
(g/cm3)
Leitfähigkeit
(mS/cm)
0 0,997 0,0
1 0,998 1,5
2 0,999 1,5
5 1,002 7,7
10 1,0046 15,4
15 1,0084 23,1
20 1,0121 30,8
25 1,0159 38,5
30 1,0196 46,2
35 1,0234 53,8
40 1,0271 61,5
Quellen: D'Ans/Lax:
Taschenbuch für Chemiker und Physiker. Ott: Meereskunde

2.) Was ist das eigentlich: Die elektrische Leitfähigkeit?

Nimmt man vollentsalztes Wasser, das kein gelöstes CO2 enthält, so mißt man die Leitfähigkeit Null (mit einem Profigerät 0,055 µS/cm. Das ist die Eigenleitfähigkeit des Wassers, weil dieses in sehr geringem Maße in H-Ionen und OH-Ionen dissoziiert). Für uns Aquarianer gilt: Ein vollentsalztes Wasser hat praktisch keine Leitfähigkeit.

Lösen wir z. B. Zucker in vollentsalztem Wasser, so messen wir nur eine sehr geringe Leitfähigkeit, die von den Verunreinigungen des Zuckers herrührt. Gelöster Zucker selbst erzeugt keine elektrische Leitfähigkeit, weil er nicht in Ionen zerfällt.

Lösen wir hingegen einen Teelöffel Kochsalz (~10g) in einem Liter vollentsalzten Wasser, so messen wir ungefähr 15000 µS/cm, weil Kochsalz beim Lösen vollständig in Natriumionen (Na+) und Chloridionen (Cl-) zerfällt und damit Ionenleitung erzeugt.

Beim Leitungswasser sind es die gelösten Salze, die Ionen bilden und damit eine elektrische Leitfähigkeit verursachen, hauptsächlich die Härtebildner Calcium und Magnesium, die Kationen bilden, und die dazugehörigen Anionen Hydrogencarbonat, Sulfat und Chlorid.

3.) Das Meßprinzip

Die Meßzelle wird aus zwei meist flächigen Elektroden gebildet, die aus Platin, Edelstahl oder anderem elektrisch leitfähigem Material bestehen und einen definierten Abstand haben. Die zu messende Probe wird in die Meßzelle gefüllt, bzw. die stabförmige Meßzelle in die Probe eingetaucht. Eine Spannung an den Elektroden führt zur Bewegung der Ionen im elektrischen Feld und damit zu einem Stromfluß. Zur Vermeidung einer Polarisation der Elektrodenoberflächen arbeiten die Meßgeräte mit einer Wechselspannung von meistens 3 kHz. Gemessen wird zunächst der elektrische Widerstand (R). Der reziproke Widerstand ist der Leitwert (G = 1/R). Er wird in der Einheit Siemens (S) oder Mikrosiemens (µS) angegeben. Multipliziert man ihn mit der Zellkonstante (Abstand/Fläche = k), so erhält man die elektrische Leitfähigkeit (L = k x G). Sie wird in der Einheit Siemens pro Meter (S/m) oder Mikrosiemens pro Zentimeter (µS/cm) angegeben. Da viele Leitfähigkeitsmeßgeräte eine Zellkonstante k von etwa 1 haben, ist der Leitwert (G = 1/R) zahlenmäßig fast identisch mit der elektrischen Leitfähigkeit L. Das mag die Langlebigkeit dieser Verwechslung von elektrischer Leitfähigkeit mit dem Leitwert in der aquaristischen Literatur erklären.

4.) Meßgeräte

c(KCl)
(mol/l)
c(KCl)
(g/l)
Elektr. Leitfähigk.
(µS/cm)
0,1 7,456 12900
0,01 0,7456 1410
0,001 0,0746 147
Verändert nach: EN 27888:1993, früher DIN 38404, Teil 8: Bestimmung der elektrischen Leitfähigkeit
Handelsübliche Meßgeräte sind kalibriert, d. h. die Zellkonstante ist schon als Faktor im Gerät vorhanden, und der "Leitwert" wird schon mit der Zellkonstante multipliziert angezeigt. Möglicherweise gibt es aber auch noch Geräte, die erst kalibriert werden müssen. Man macht das mit Kaliumchloridlösungen bekannter Konzentration bei 25°C.

Leitfähigkeit von Kaliumchloridlösungen bei 25°C

Einfache Meßgeräte haben einen Meßbereich von 0-2000 µS/cm und eine Auflösung von 2 µS/cm, komfortable Geräte haben mehrere Meßbereiche und eine höhere Auflösung. Das Leitwert-Meßgerät GMH 3430 der Fa. Greisinger hat z. B. folgende Meßbereiche:

Meßbereiche eines Leitwert-Meßgerätes

(Greisinger GMH 3430)
Leitwert: 0,0...200,0 µS/cm
0...2000 µS/cm
0,00...20,00 mS/cm
0,0...200,0 mS/cm
Temperatur: -5,0...+100,0°C
Widerstand: 0,005...100,0 kOhm
Salinität: 0,0...70,0 Promille
TDS 0...1999 mg/l
Preis etwa 530 DM
Greisinger Leitwertmessgerät

Greisinger Leitwertmessgerät

Daten eines einfachen Leitwert-Meßgerätes

Ein einfaches, aber schon temperaturkompensiertes Gerät wird von der Fa. Hannah hergestellt und z. B. von der Fa. Conrad vertrieben:
(Hannah dist 3)
Meßbereich: 0...2000 µS/cm
Auflösung 10 µS/cm
Genauigkeit 2% vom MB
Temperaturkompensation automatisch
Preis etwa 80 DM

Daten für Hannah dist 3

5.) Zusammenhang zwischen Leitfähigkeit und Temperatur

Das Meßergebnis wird auf 25°C bezogen, um es mit anderen Ergebnissen vergleichbar zu machen. Die elektrische Leitfähigkeit von natürlichen und Leitungswässern steigt mit steigender Temperatur. Der Anstieg beträgt etwa 2,2 % pro °C. Eine genaue Korrekturtabelle ist Bestandteil der europäischen Norm EN 27888:1993. Das vorgestellte Meßgerät führt diese Korrektur selbständig durch und mißt dazu die Probentemperatur. Diese Korrektur dürfte auch für Aquarienwässer brauchbar sein. Mißt man bei 25°C, dann ist keine Korrektur notwendig. Hat man ein einfaches Gerät ohne automatische Temperaturkorrektur, so muß die von 25°C abweichende Temperatur gemessen und berücksichtigt werden.

Will man die elektrische Leitfähigkeit anderer wäßriger Lösungen messen, muß man deren Temperaturkoeffizienten ermitteln oder die Lösungen auf eine konstante Temperatur bringen, z. B. auf 25°C.

6.) Zusammenhang zwischen Leitfähigkeit und den Wasserinhaltsstoffen

Die elektrische Leitfähigkeit steigt mit steigender Konzentration eines gelösten Stoffes. Wir sehen das an den vorgestellten Kalibrierlösungen. Hat man nur einen Stoff im Wasser gelöst, und liegt der völlig dissoziiert vor, dann kann man seine Konzentration mit einer Kalibriertabelle oder weniger genau mit einem ermittelten Faktor messen. Dabei ist der Zusammenhang zwischen Leitfähigkeit und Konzentration nicht streng proportional!

Ionenart Formel Einwaage
(mg/l)
Leitf.
(µS/cm)
Calcium Ca2+ 20,04 52,0
Magnesium Mg2+ 12,15 46,6
Natrium Na+ 23,00 48,9
Kalium K+ 39,10 72,0
Hydrogencarbonat HCO3- 61,02 43,6
Carbonat CO32- 60,01 84,6
Chlorid Cl- 35,45 75,9
Nitrat NO3- 62,01 71,0
Sulfat SO42- 48,03 73,9

Geändert aus: STANDARD METHODS, 10. Aufl., New York 1955
Als Beispiel nehmen wir die Salinität von Seewasser bei 25°C. Sie wird überwiegend von Natriumchlorid verursacht. Man mißt die Leitfähigkeit in µS/cm, multipliziert mit 0,00065 und erhält die Salinität in Promille Seesalz. Wünscht man mehr Genauigkeit, so benutzt man obige Tabelle und interpoliert.

Liegen dagegen mehrere ionogen gelöste Stoffe vor, wie z. B. im Aquarienwasser, so ist deren Konzentrationsbestimmung nicht ohne weiteres möglich. Dazu eine kleine Tabelle aus den amerikanischen STANDARD METHODS, 10 Aufl., New York 1955:

Die gemessene Leitfähigkeit ist nämlich die Summe der Teilleitfähigkeiten der verschiedenen Ionenarten. Kennen wir also die komplette Analyse eines Wassers, so läßt sich daraus die Leitfähigkeit berechnen. Umgekehrt geht das nicht. Trotzdem lassen sich aus dem Summenparameter Leitfähigkeit eine Reihe von aquaristisch relevanten Schlüssen ziehen, wovon schon einige Beispiele angeführt wurden.

Leitfähigkeit eines Leitungswassers, berechnet aus den Bestandteilen

Bestandteil Konz. Konz.
(mmol/l)
Leitf.
(µS/cm)
Anteil
%
Calcium 7,1°dH 1.27 132,1 41,6
Magnesium 0,6°dH 0.11 10,3 3,3
Natrium 9,6 mg/l 0,42 20,5 6,5
Kalium 0,8 mg/l 0,02 1,4 0,4
Hydrogencarbonat 6,4°dH 2,29 99,8 31,4
Chlorid 17 mg/l 0,5 38,0 12,0
Sulfat 19 mg/l 0,20 14,8 4,7
Nitrat 0,8 mg/l 0,013 0,9 0,3
Summe berechnet 317,8 100,2
gemessen 330 -

Teilt man die elektrische Leitfähigkeit von Leitungswasser, gemessen in µS/cm, durch die Zahl 35, so findet man die in etwa die Gesamthärte, gemessen in °dGH. Im obigen Beispiel ist die Leitfähigkeit 330 µS/cm. Sie durch 35 geteilt, ergibt 9,4°dGH. Gemessen wurden aber 7,7°dGH. Wendet man diese Methode auf Aquarienaltwässer mit hohen Mineralgehalt an, so weichen die gemessenen Werte noch stärker von den berechneten ab, aber nur in eine Richtung. Insofern ist es möglich, mit dem Divisor 35 die maximale GH aus der gemessenen Leitfähigkeit abzuleiten. H.-J. Krause (Handbuch Aquarienwasser) gibt einen Divisor von 33 an.

Mißt man neben der Leitfähigkeit auch die GH, so kann man die Aufsalzung ermitteln, indem man von der Leitfähigkeit das 35-fache der GH abzieht. Die Differenz, geteilt durch 100, repräsentiert die Aufsalzung in mmol/l Neutralsalz. Nitrat ist durch diese Methode aber schlecht erfaßbar, da Karbonathärte bei der Nitrifikation verdrängt wird. Ein Millimol Nitrat ersetzt ein Millimol Hydrogencarbonat. Nach der Tabelle mit den spezifischen Leitfähigkeiten der verschiedenen Ionenarten hat das nur eine geringe Zunahme der Leitfähigkeit zur Folge, nämlich um 27,4 µS/cm für 1 mmol/l, dagegen eine Absenkung des pH. Die Halbierung der KH bei konstantem Kohlendioxid senkt den pH um 0,3. Insofern ist der pH viel besser zur Indikation von viel Nitrat geeignet als die Leitfähigkeit.

7.) Ist die Leitfähigkeitsmessung eine Schätzmethode?

Wenn man den Beispielen folgt, vielleicht. Aber sehen wir auch das Positive! Salzarmes Wasser ist schnell und zuverlässig auf Qualität prüfbar. Bei UO- und VE-Wasser gibt es keine meßtechnische Alternative zur Leitfähigkeitsmessung. See- und Brackwasser sind schnell und mit befriedigender Genauigkeit auf die Salzkonzentration zu prüfen. Das Leitungswasser ist schnell und einfach auf seine maximale Härte prüfbar. Aquarienwasser ist, verglichen mit Leitungswasser, kontrollierbar auf das Ausmaß der Veränderungen und auf die Notwendigkeit von Pflegemaßnahmen.

Damit hat solch ein Gerät ein ganzes Spektrum von Verwendungsmöglichkeiten. Ich benutze es gern und häufig.
Z. B. kontrolliere ich meine Wasseranalysen damit. Die gemessene Leitfähigkeit sollte die Summe der berechneten und addierten Einzelleitfähigkeiten sein. Ist sie wesentlich höher, so ist zumindest eine Konzentrationsmessung falsch oder eine wesentliche Komponente nicht gemessen worden.

Außerdem ist die Summe der Kationenäquivalente gleich der Summe der Anionenäquivalente. Hat man also in der Bilanz der Ionen viel mehr Kationen als Anionen gefunden, so fehlt ein wesentliches Anion, z. B. Sulfat.

Autor: Dr. Gerd Kassebeer   Stand: 1991-02-01   File: http://www.deters-ing.de/Gastbeitraege/Leitf_1.htm   User online: 2