Mythos und Medizin: Die kulturelle Geschichte der Pfingstrosen

Pfingstrosen (Paeonia) gehören zu den ältesten kultivierten Zierpflanzen der Welt. Ihre majestätischen Blüten, ihre beeindruckende Langlebigkeit und nicht zuletzt ihre tief verwurzelte symbolische Bedeutung machen sie zu einer Pflanze, die weit über ihre Rolle im Garten hinausreicht. In Mythen, Heilkunde und Kunst hat sie über Jahrtausende hinweg Spuren hinterlassen: In Klostergärten und kaiserlichen Parks, als Schutzsymbol ebenso wie als Ausdruck von Schönheit und Würde.
Ursprung und Namensherkunft
Der Name Paeonia geht auf eine Figur der griechischen Mythologie zurück: Paeon, ein Schüler des Heilgottes Asklepios, heilte angeblich Pluto mit einer geheimnisvollen Pflanze. Asklepios, eifersüchtig auf die Fähigkeiten seines Schülers, drohte ihm mit Strafe. Um ihn zu retten, verwandelte Zeus Paeon in eine Blume – die Pfingstrose. So erklärt sich nicht nur der botanische Name, sondern auch die frühzeitige Zuordnung der Pflanze zur Heilkunde. Ob diese Erzählung historische Wurzeln hat oder nicht – sie zeigt, welche Bedeutung der Pfingstrose schon in der Antike zugesprochen wurde.

Pfingstrosen in der antiken und mittelalterlichen Heilkunde
Schon Hippokrates und später Dioskurides beschrieben die Pfingstrose als Mittel gegen allerlei Beschwerden: von Magenproblemen über Menstruationsbeschwerden bis hin zu Epilepsie. Genutzt wurden dabei vor allem Wurzeln und Samen, teils als Pulver, teils in Form von Amuletten, die um den Hals getragen wurden. In der Vorstellung der damaligen Zeit ging es dabei nicht nur um medizinische Wirkung, sondern auch um Schutz vor dunklen Einflüssen – böse Träume, Geister oder „nächtliches Unheil“.
Im Mittelalter fanden Pfingstrosen wie Paeonia lactiflora Eingang in die Klostermedizin, wo sie zwar geschätzt, aber auch mit Vorsicht behandelt wurde. Hildegard von Bingen etwa empfahl sie bei „verunreinigten Körpersäften“ – eine Umschreibung für verschiedenste Beschwerden –, warnte aber vor zu starker Dosierung. Denn obwohl die Pflanze sanft erscheint, enthalten ihre Bestandteile giftige Alkaloide, die bei übermäßigem Gebrauch schädlich wirken können.
Symbolkraft in Ost und West
Während die Pfingstrose im Westen lange als Heilpflanze mit volkstümlichem Charakter galt, entwickelte sie sich in China zu einem der bedeutendsten Symbole der Hochkultur. Bereits in der Tang-Dynastie (7.–10. Jahrhundert) wurde sie zur „Königin der Blumen“ erhoben und stand für Reichtum, weibliche Schönheit, Anmut und Ehre. In der chinesischen Kunst und Dichtung nimmt sie seit Jahrhunderten eine zentrale Rolle ein, und ihre Darstellungen sind bis heute beliebte Motive in Malerei, Textilkunst und Porzellan.

Auch in Japan gilt die Pfingstrose als Symbol für Glück, ein erfülltes Leben und familiären Wohlstand. In der westlichen Welt hingegen wurde sie erst spät zu einer Zierpflanze mit symbolischer Bedeutung. In christlicher Ikonografie steht sie gelegentlich für die Jungfrau Maria oder für das Paradies, häufiger aber war sie in Kloster- und Bauerngärten einfach wegen ihrer Schönheit und Langlebigkeit geschätzt.
Vom Heilmittel zur Gartenpflanze
Mit dem Aufschwung der botanischen Gärten und Pflanzensammlungen im 18. und 19. Jahrhundert gelangten zunehmend edle Sorten aus Asien nach Europa. Vor allem Strauchpfingstrosen aus China fanden Eingang in private Gärten und wurden zu einem Statussymbol des gehobenen Bürgertums. Gleichzeitig wurde die volkstümliche Staudenpfingstrose, die in vielen Bauern- und Klostergärten zu finden war, ebenfalls kultiviert und züchterisch verfeinert.
Die medizinische Bedeutung der Pfingstrose trat dabei zunehmend in den Hintergrund. Heute ist sie vor allem eine Gartenpflanze – robust, langlebig und prachtvoll. Viele Sorten können Jahrzehnte alt werden, ohne an Blühfreude einzubüßen, sofern sie ungestört an einem passenden Platz stehen.

Zwischen Legende und Gegenwart
Die Pfingstrose ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie tief Pflanzen in das kulturelle Gedächtnis der Menschheit eingeschrieben sind. Sie ist Trägerin von Geschichten, Symbolen und Hoffnungen. Ihre volle Blüte ist zwar nicht von langer daber, aber sie selbst vist on einer geradezu stoischen Beständigkeit: Wer ihr den richtigen Standort gibt und Geduld mitbringt, wird jahrzehntelang belohnt.
Autorin: Caroline Haller für www.einrichtungsbeispiele.de
