Blog: Wiederansiedlung des Schlammpeitzgers in Bayern (7378)
In Bayern wird derzeit eine der ungewöhnlichsten und zugleich bedrohtesten Fischarten unseres Landes gezielt wieder angesiedelt: der Europäische Schlammpeitzger (wissenschaftlich Misgurnus fossilis). Dieser kleine, im Schlamm lebende Fisch gerät zunehmend in Vergessenheit — und dabei spielt er eine wichtige Rolle in den Auen-, Tümpel- und Altgewässer-Ökosystemen Bayerns. Diese Wiederansiedlung ist ein spannendes Beispiel dafür, wie Artenschutz, Renaturierung und Gewässerentwicklung ineinandergreifen. Im folgenden Artikel schauen wir uns ausführlich an, woher der Schlammpeitzger kommt, warum er gefährdet ist, wie die Wiederansiedlung in Bayern konkret abläuft, welche Herausforderungen bestehen und wie wir unterstützen können.
Wer ist der Schlammpeitzger?
Der Schlammpeitzger ist eine eher unscheinbare Fischart: Er besitzt einen walzenförmigen Körper, ist zumeist hellbraun bis gelblich gefärbt und erreicht in der Regel eine Länge von 15–30 cm. Ein auffälliges Merkmal: Er hat Barteln rund ums Maul und einen kleinen Kopf – in seinem Lebensraum ist er auf spezielle Bedingungen eingestellt. Er lebt überwiegend in flachen, langsam fließenden oder stehenden Gewässern wie Altarmen, Tümpeln, Wassergräben oder feuchten Mooren – also Gewässern, die oft mäßig mit Sauerstoff versorgt sind.
Was ihn besonders macht: Der Schlammpeitzger verfügt über eine Fähigkeit zur sogenannten Darmatmung. Das heißt: In sauerstoffarmen Gewässern kann er im Schlamm oder im Grund Atemluft aufnehmen und Sauerstoff über die Darmschleimhaut verwerten. Durch diese Anpassung kann er auch in Gewässern überleben, die für viele andere Fischarten kaum geeignet wären.
Warum ist der Schlammpeitzger in Bayern gefährdet?
Trotz seiner bemerkenswerten Anpassungsfähigkeit steht der Schlammpeitzger in Bayern unter starkem Druck. Ein Grund ist eindeutig: Seine bevorzugten Lebensräume sind stark reduziert worden. Flachgewässer wie Alt- und Seitenarme, Tümpel, Wassergräben und Moorgewässer wurden vielfach durch Gewässerausbau, Begradigung, Trockenlegung, Entkrautung und Entwässerung verändert oder zerstört. Hinzu kommt, dass durch intensive landwirtschaftliche Nutzung, Gewässerregulierung und Infrastrukturmaßnahmen viele hierfür geeigneten Gewässerabschnitte zunehmend unzugänglich oder für eine natürliche Verbreitung des Schlammpeitzgers unbrauchbar geworden sind. Zudem kann die Gesamtstruktur der Gewässer oft nicht mehr die notwendigen ökologischen Bedingungen erfüllen: langsam fließend oder stehendes Wasser, pflanzenreiche Ufer- und Grundbereiche mit weichem Schlammgrund.
Diese Faktoren zusammengenommen haben dafür gesorgt, dass der Schlammpeitzger in Bayern als vom Aussterben bedroht geführt wird.
Ziel und Bedeutung der Wiederansiedlung
Das Ziel der Wiederansiedlung ist – kurz gesagt – die Schaffung oder Wiederherstellung von Lebensräumen, in denen der Schlammpeitzger dauerhaft überleben und sich natürlich reproduzieren kann. In Bayern übernimmt hierzu das Bayerisches Landesamt für Umwelt (LfU) eine wichtige Rolle. Wenn es gelingt, stabile Populationen aufzubauen, können diese Zielgewässer nicht nur als sichere Heimat dienen, sondern zukünftig auch als Ausbreitungsquelle für umliegende Gewässer wirken.
Die Bedeutung dieser Maßnahme liegt nicht nur im Schutz einer einzelnen Fischart: Der Schlammpeitzger ist ein Indikator für naturnahe Gewässerstrukturen und trägt zur Biodiversität bei – seine Existenz zeigt, dass Gewässer in einem guten ökologischen Zustand sind. Darüber hinaus sind solche Maßnahmen Teil der Umsetzung von EU-Schutzvorgaben (z. B. FFH-Richtlinie) und damit Teil einer nachhaltigen Umweltpolitik.
Wie läuft die Wiederansiedlung konkret ab?
Die Wiederansiedlung des Schlammpeitzgers in Bayern erfolgt in mehreren Phasen, die sorgfältig geplant und überwacht werden:
Standortanalyse und Habitat-Vorbereitung
Zunächst werden Gewässer untersucht, ob sie geeignet sind: flache Bereiche, pflanzenreich, langsam fließend oder stehendes Wasser, weicher Schlammgrund, ausreichend Versteck- und Rückzugsmöglichkeiten. Das LfU prüft mit Methoden wie Elektro- und Reusenbefischung sowie eDNA-Monitoring, ob bereits Schlammpeitzger existieren oder nicht. Renaturierungsmaßnahmen können nötig sein, etwa die Herstellung von Altarmen, Verfüllung von Gräben oder Entschlammung, Wiederherstellung von Ufervegetation oder Vernetzung von Gewässern mit Nebenarmen oder Graben-Systemen.
Nachzucht und Besatz
An passenden Standorten werden Jungfische oder im Jugendalter befindliche Schlammpeitzger eingesetzt. In Bayern erfolgte z. B. die Nachzucht in der Teich- und Fischzuchtanlage in Wielenbach. Dort wurden geeignete Laichfische gewonnen und Jungtiere über mehrere Wochen herangezogen. Für eines der Programme wurden bereits 4 500 Jungfische im Donaugraben unterhalb von Deggendorf eingesetzt.
Überwachung und Erfolgskontrolle
Nach dem Besatz erfolgen regelmäßige Monitoringmaßnahmen: Diese umfassen Befischungen, eDNA-Analysen, Bestandsaufnahmen, aber auch die Überwachung von Lebensraumveränderungen. Nur so kann festgestellt werden, ob sich die Schlammpeitzger etablieren und ggf. selbst reproduzieren. Frühzeitige Erfolge wurden z. B. bei der Überwinterung nachgewiesen.
Vernetzung und Ausbreitung
Ein langfristiger Erfolg hängt davon ab, ob sich die wiederangesiedelten Populationen ausbreiten können, um umliegende Gewässer zu kolonisieren oder sich mit anderen Teilpopulationen zu vernetzen. Dazu sind oft zusätzliche Maßnahmen der Gewässerstruktur- und Landschaftsentwicklung nötig – etwa Vernetzung von Altarmen oder Renaturierung von Nebengewässern.
Aktuelle Projekte und Erfolge in Bayern
In Bayern gibt es mehrere bemerkenswerte Initiativen zur Wiederansiedlung des Schlammpeitzgers:
- Im Jahr 2021 setzte das LfU im Donaugraben unterhalb von Deggendorf etwa 4.500 Jungfische aus „Wielenbach“ aus.
- Ende 2025 wurden von Presseberichten zufolge erneut etwa 200 Exemplare in ausgesuchten Biotopen und Altwässern des Mains bei Bischberg im Landkreis Bamberg ausgesetzt.
- In einem weiteren Projekt wurde ein Teich bei der Leismühle für Schlammpeitzger vorbereitet: Dort wurden rund 200 ein- und zweijährige Tiere eingesetzt.
Diese Beispiele zeigen: Die Ansätze sind in Fahrt – und erste positive Rückmeldungen zur Überwinterung oder Etablierung liegen vor. Gleichzeitig wird deutlich, dass nicht jedes Projekt problemlos verläuft.
Herausforderungen und Risiken
Die Wiederansiedlung ist mit einigen Risiken und Herausforderungen verbunden:
- Invasive Arten bzw. Konkurrenz: In einem Fall wurde bei Monitoringmaßnahmen im Zielgewässer nach der Wiederansiedlung des europäischen Schlammpeitzgers eine erhebliche Zahl der Art Nordchinesischer Schlammpeitzger (eine gebietsfremde Variante) gefunden, die die heimische Art offenbar verdrängt.
- Habitatqualität: Auch wenn ein Gewässer als geeignet eingestuft wurde, können langfristig Lebensraumveränderungen (z. B. neue Trockenphasen, Entkrautung, Wasserführung) den Erfolg gefährden.
- Genetische Vielfalt & Herkünfte: Wenn Nachzuchten eingesetzt werden, muss auf genetische Aspekte geachtet werden, damit keine unerwünschten Effekte entstehen (z. B. Inzucht, mangelnde Vielfalt).
- Langfristige Sicherung: Ein Besatz allein reicht nicht: Der Gewässerzustand muss dauerhaft stabil bleiben. Dies erfordert häufig weitere Maßnahmen wie Renaturierung, Bewirtschaftung, öffentliche Akzeptanz.
- Monitoring und Ressourcen: Effektives Monitoring über Jahre hinweg benötigt Personal, Technik und finanzielle Mittel – und wenn die Ergebnisse nicht wie erhofft ausfallen, braucht es Anpassungsstrategien.
Bedeutung für Ökosystem und Landschaft
Warum lohnt sich die Mühe? Erstens: Der Schlammpeitzger ist Teil eines funktionierenden Auen- und Stillgewässer-Ökosystems. Seine Anwesenheit weist auf gute ökologische Bedingungen hin: weicher Schlammgrund, Pflanzen-bestandene Gewässer, Retentionsräume in Altarmen.
Zweitens: Renaturierungsmaßnahmen, die für den Schlammpeitzger durchgeführt werden, wirken sich positiv auf viele weitere Arten aus – vom Makroinvertebraten über Amphibien bis hin zu Vögeln, die feuchte Uferbereiche nutzen. Drittens: Im Zuge des Klimawandels gewinnen solche flachen, vernetzten Gewässerstrukturen an Bedeutung – für Wasser- und Lebensraumrückhalt, Grundwasserneubildung und Biodiversität.
Die Wiederansiedlung zeigt also exemplarisch, wie Artenschutz, Landschaftsnutzung und Gewässerentwicklung zusammenspielen können.
Wie können Garten- und Naturliebhaber mitmachen?
Auch auf privater oder lokaler Ebene gibt es Möglichkeiten, sich einzubringen:
- Aufklärung: Schreibe Beiträge über die Besonderheiten solcher Arten und der naturnahen Gewässerstrukturen.
- Gewässerpatenschaften oder Vereinsmitgliedschaften: Oft bestehen Kooperationen von Natur-, Fischerei- oder Angelvereinen, bei denen Freiwillige mitwirken können.
- Förderung geeigneter Lebensräume: Wenn man einen Teich, Wassergraben oder Tümpel besitzt oder betreut, kann man überlegen, ob eine naturnahe Gestaltung mit flacher Uferzone, Pflanzenbestand und Schlammgrund möglich ist – idealerweise mit Beratung durch Fachstellen.
- Monitoring-Beteiligung: Manchmal sind Bürger- oder Vereinsaktionen gefragt, z. B. beim Zustand von Altarmen oder bei Befischungsaktionen.
- Bewusst leben: Öffentliches Verständnis für solche Maßnahmen stärken – viele Menschen kennen die „Furzgrundel“ (Spitzname des Schlammpeitzgers) kaum, ein Blogbeitrag kann hier viel bewirken.
FAQs
Was bedeutet der Spitzname „Furzgrundel“?
Der Spitzname für den Schlammpeitzger stammt von seiner besonderen Atmung: Er kann durch die Darmschleimhaut in sauerstoffarmen Gewässern Sauerstoff aufnehmen – und Luftreisefähigkeiten im Schlamm sowie gelegentliche Landwanderungen bei Regen gehören zu seinen Fähigkeiten.
Kann jeder beliebige Teich zur Wiederansiedlung genutzt werden?
Nicht unbedingt. Der Teich oder das Gewässer muss bestimmte Kriterien erfüllen: flach, mit weichem Schlammgrund, reich bewachsen, möglichst wenig Strömung oder starker Sauerstoffverlust, vernetzt mit anderen Gewässern oder zumindest Teil eines naturnahen Gewässersystems. Zusätzlich muss geprüft werden, ob bereits Schlammpeitzger-Populationen vorhanden sind oder invasive Arten vorhanden sein könnten.
Wie erfolgreich sind die bisherigen Wiederansiedlungen?
Erste Schritte zeigen positive Ansätze – etwa die Nachzucht und Freisetzung von Jungfischen oder die Überwinterung in einigen Zielgewässern. Allerdings besteht weiterhin Unsicherheit, etwa durch invasive Konkurrenzarten oder langfristige Habitatveränderungen. Der Erfolg ist daher noch nicht flächendeckend gesichert.
Welche Rolle spielen Alt- und Nebenarme von Flüssen?
Alt- und Nebenarme – also langsam fließende oder stehende Gewässerabschnitte in der Aue – sind idealer Lebensraum für den Schlammpeitzger. Sie bieten flache Ufer, schlammigen Grund, Pflanzengürtel und geringe Strömung. Ihre Wiederherstellung ist daher zentral für die Wiederansiedlung.
Welche Gefährdung durch invasive Arten besteht?
Ein relevantes Risiko besteht darin, dass anderswo eingebrachte oder eingeschleppte Varianten des Schlammpeitzgers (z. B. der Nordchinesische Schlammpeitzger) gefunden wurden, die offenbar die heimischen Populationen verdrängen könnten. Dies zeigt, wie komplex Artenschutz sein kann: Es geht nicht nur um Aussetzung, sondern um das gesamte Gefüge von Arten, Gewässerstruktur und Landschaft.
Fazit
Die Wiederansiedlung des Schlammpeitzgers in Bayern ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie gezielter Artenschutz, Renaturierung von Gewässern und Landschaftsentwicklung Hand in Hand gehen können. Der Schlammpeitzger selbst ist zwar unscheinbar, aber er steht sinnbildlich für naturnahe Gewässerstrukturen in einem zunehmend regulierten Fluss- und Auensystem. Seine Rückkehr wäre nicht nur ein Erfolg für diese eine Art, sondern auch ein Signal dafür, dass wir unseren Gewässern wieder etwas mehr Freiheit und Vielfalt gönnen können.
Gleichzeitig zeigt dieses Vorhaben eindrücklich: Ohne langfristiges Engagement, ohne Monitoring, ohne Einbindung der Landschaft, ohne Kooperation von Behörden, Vereinen und Öffentlichkeit sowie ohne die Wiederherstellung geeigneter Habitaträume ist Erfolg nicht garantiert. Als Natur- und Gartenliebhaber kannst du hier eine wichtige Rolle spielen — durch Information, Sensibilisierung und Mitwirkung. Die Natur - und damit auch der Schlammpeitzger - hat es verdient.
Bildquelle: Bernt René Voss Grimm, Misgurnus fossilis Denmark, CC BY 3.0






