Brennnesseln: Wieso sind sie so wichtig für das Tagpfauenauge?

In der Welt der Schmetterlinge gibt es zahlreiche faszinierende Zusammenhänge zwischen Pflanzen und Insekten. Eine dieser spannenden Beziehungen besteht zwischen der Brennnessel und dem Tagpfauenauge – einem der bekanntesten Schmetterlinge Mitteleuropas. Während die Brennnessel von vielen Gärtnern als lästiges Unkraut angesehen wird, spielt sie für das Überleben des Tagpfauenauges eine zentrale Rolle. Doch was genau macht diese Pflanze so wichtig für diesen Schmetterling? In diesem ausführlichen Artikel werfen wir einen detaillierten Blick auf die ökologische Verbindung zwischen der Brennnessel und dem Tagpfauenauge. Gleichzeitig erklären wir, warum man Brennnesseln im Garten nicht nur dulden, sondern aktiv fördern sollte, wenn einem die heimische Schmetterlingswelt am Herzen liegt.
Was ist das Tagpfauenauge?
Das Tagpfauenauge (Aglais io) ist ein auffällig gefärbter Tagfalter, der mit seinen großen, augenähnlichen Flecken auf den Flügeln leicht zu erkennen ist. Diese „Augen“ dienen der Abschreckung von Fressfeinden wie Vögeln. Der Falter ist in Europa weit verbreitet und zählt zu den häufigsten und am besten bekannten Schmetterlingen. Besonders Kinder und Hobbygärtner freuen sich, wenn sie ihn in ihrem Garten entdecken.

Tagpfauenaugen fliegen in der Regel von März bis Oktober, wobei es in besonders warmen Jahren auch schon im Februar zu ersten Sichtungen kommen kann. Sie überwintern als ausgewachsene Falter in geschützten Bereichen wie Schuppen, Kellern oder Holzhaufen.
Die Entwicklung des Tagpfauenauges: Ein Blick auf den Lebenszyklus
Um die Bedeutung der Brennnessel wirklich zu verstehen, muss man sich den Lebenszyklus des Tagpfauenauges genauer ansehen. Nach der Paarung im Frühjahr legen die Weibchen ihre Eier – meist in Gruppen von bis zu 500 Stück – gezielt auf bestimmte Pflanzenarten. Hier beginnt die entscheidende Rolle der Brennnessel:
- Eiablage: Das Tagpfauenauge legt seine Eier fast ausschließlich auf die Große Brennnessel (Urtica dioica).
- Raupenentwicklung: Nach dem Schlüpfen ernähren sich die jungen Raupen ausschließlich von den Blättern der Brennnessel.
- Verpuppung: Sobald die Raupen ausgewachsen sind, verpuppen sie sich in der Nähe ihrer Futterpflanze.
- Schlupf: Nach ein bis zwei Wochen schlüpfen die fertigen Schmetterlinge.
Dieser Kreislauf kann, je nach Witterung, ein- bis zweimal jährlich stattfinden. In besonders günstigen Jahren schafft das Tagpfauenauge sogar zwei vollständige Generationen.

Warum ist die Brennnessel so wichtig?
Die Brennnessel gehört zu den sogenannten Monophagen- oder Oligophagenpflanzen für viele Schmetterlingsarten – das heißt, bestimmte Arten sind in ihrer Entwicklung ausschließlich oder stark bevorzugt auf diese Pflanze angewiesen. Für das Tagpfauenauge ist die Brennnessel quasi lebensnotwendig, da die Raupen ohne sie nicht überleben können.
Hier die Hauptgründe für die Bedeutung der Brennnessel:
- Exklusivität: Das Tagpfauenauge nutzt fast ausschließlich die Große Brennnessel zur Eiablage. Ohne Brennnessel kein Nachwuchs.
- Nährstoffgehalt: Brennnesselblätter sind reich an Stickstoff und anderen Nährstoffen, was sie zu einem idealen Futter für die wachsenden Raupen macht.
- Wuchsort: Brennnesseln wachsen häufig an sonnigen, geschützten Stellen – genau die Bedingungen, die auch Raupen zum Überleben brauchen.
- Schutz: Die Brennhaare der Pflanze schützen die Raupen vor vielen Fressfeinden wie Ameisen oder Vögeln.
Warum verschwinden Tagpfauenaugen in manchen Gegenden?
In vielen Regionen ist ein Rückgang der Tagpfauenaugen-Populationen zu beobachten. Einer der Hauptgründe ist der Verlust geeigneter Lebensräume – und damit auch der Verlust von Brennnesseln. Intensive Landwirtschaft, übermäßiges Mähen, der Einsatz von Herbiziden sowie die „Aufräumkultur“ in Privatgärten sorgen dafür, dass Brennnesseln kaum noch Platz finden.
Der Trend zu „pflegeleichten“ Gärten mit Steinen, kurzgeschnittenem Rasen und exotischen Zierpflanzen verschärft dieses Problem. Dabei wären Brennnesseln in einer abgelegenen Gartenecke kaum störend – und könnten maßgeblich zum Artenschutz beitragen.
Brennnesseln im Garten bewusst fördern
Wer das Tagpfauenauge und andere Schmetterlinge wie Admiral, Kleiner Fuchs oder Landkärtchen unterstützen möchte, kann mit einfachen Mitteln helfen:
- Brennnesselecke anlegen: Eine sonnige, ungestörte Gartenecke reicht oft schon aus. Einfach wachsen lassen und nicht ständig schneiden.
- Keine Herbizide verwenden: Chemische Mittel töten nicht nur „Unkraut“, sondern zerstören ganze Lebensgemeinschaften.
- Ruhige Zonen schaffen: Raupen und Puppen brauchen Zeit und Ruhe zur Entwicklung. Zu häufiges Mähen oder Umgraben stört diesen Zyklus.
- Auf Blühpflanzen setzen: Auch erwachsene Schmetterlinge brauchen Nahrung – Wildblumenwiesen oder heimische Stauden bieten nektarreiche Anlaufstellen.
Weitere Schmetterlinge, die von Brennnesseln profitieren
Das Tagpfauenauge ist nicht die einzige Art, die auf Brennnesseln angewiesen ist. Auch folgende Schmetterlinge nutzen diese Pflanze als Raupenfutter:
- Kleiner Fuchs (Aglais urticae)
- Admiral (Vanessa atalanta)
- Landkärtchen (Araschnia levana)
- C-Falter (Polygonia c-album)
Brennnesseln tragen also nicht nur zum Erhalt einer einzelnen Art bei, sondern fördern die gesamte Vielfalt heimischer Falter.
FAQs – Häufig gestellte Fragen
Warum legen Tagpfauenaugen ihre Eier nur auf Brennnesseln?
Die Raupen des Tagpfauenauges haben sich im Laufe der Evolution an die Inhaltsstoffe der Brennnessel angepasst. Andere Pflanzen können sie nicht verdauen oder liefern nicht die nötigen Nährstoffe.
Sind Brennnesseln für den Garten schädlich?
Nein. Solange man ihnen gezielt Raum gibt, breiten sie sich nicht unkontrolliert aus. Eine Brennnesselecke stört weder Nachbarn noch die Gartenpflege – im Gegenteil: Sie fördert die Biodiversität.
Wie erkenne ich die Raupen des Tagpfauenauges?
Die Raupen sind schwarz, mit kleinen weißen Punkten übersät und haben zahlreiche feine Stacheln. Sie leben meist in Gruppen auf der Unterseite der Brennnesselblätter.
Können auch Zierbrennnesseln als Raupenfutter dienen?
Nein. Zierformen aus dem Gartencenter haben meist nicht die gleichen Nährstoffe und werden von den Schmetterlingen nicht zur Eiablage genutzt. Nur die heimische Große Brennnessel eignet sich.
Wann ist die beste Zeit, Brennnesseln stehen zu lassen?
Von Mai bis August – denn das ist die Zeit, in der die meisten Raupen schlüpfen und sich entwickeln. Ein Rückschnitt im Spätsommer kann neue Triebe für eine zweite Generation fördern.
Fazit
Die Brennnessel mag für viele Gärtner zunächst wie ein Ärgernis wirken, doch für das Tagpfauenauge ist sie überlebenswichtig. Wer Schmetterlinge im Garten beobachten möchte, sollte der Pflanze nicht nur Toleranz, sondern bewusste Förderung entgegenbringen. Eine kleine Ecke mit wuchernden Brennnesseln kann großen Einfluss auf die Artenvielfalt haben. In einer Zeit, in der Insektenbestände vielerorts stark zurückgehen, ist das ein einfaches, aber wirksames Mittel für mehr Natur im eigenen Garten. Statt Brennnesseln zu bekämpfen, sollten wir sie als das sehen, was sie sind: ein Stück Wildnis, das Leben schenkt.
Wenn du also das nächste Mal eine Brennnessel siehst, denke daran – sie könnte das Zuhause eines zukünftigen Tagpfauenauges sein. Und was gibt es Schöneres, als im Sommer einen bunten Schmetterling durch den Garten flattern zu sehen, von dem man weiß: „Den habe ich mit ermöglicht“?