Die Alraune – Mythos, Medizin und tödliche Verlockung
Kaum eine Pflanze hat die menschliche Fantasie so sehr beflügelt wie die Alraune (Mandragora officinarum). Mit ihrer markanten, oft menschenähnlich geformten Wurzel, die wie eine kleine Figur aus der Erde ragt, hat sie seit Jahrhunderten für Faszination, Angst und geheimnisvolle Geschichten gesorgt.
Eine Wurzel voller Legenden
Die Alraune ist wie geschaffen für Legenden, schon im Mittelalter glaubte man, dass die Pflanze ein Eigenleben habe und sogar Schreie von sich geben könne, wenn man sie ausgrabe. Eine kluge Geschichte, denn tatsächlich waren Alraunen wegen ihrer Heilwirkung sehr wertvoll: Die Angst vor den Schreien der Pflanze hielt Diebe ab.

Wer den Schrei hörte, wurde für den Rest seines Lebens vom Fluch der Alraune verfolgt – so sagt man. Deshalb gab es komplizierte Rituale, um die Wurzel sicher zu bergen, etwa mit Hunden, die die Alraunen für den Menschen aus der Erde zogen, denn diese sollten dem tödlichen Schrei besser gewachsen sein. Ebenfalls soll es hilfreich gewesen sein, den Schrei etwa mit einem lauten Gong zu übertönen und sich so zu schützen.
Heilwirkung und tödliche Gefahr
Tatsächlich steckt in der Alraune eine komplexe Mischung aus Alkaloiden wie Hyoscyamin, Scopolamin und Atropin – Substanzen, die auch in anderen Nachtschattengewächsen vorkommen. Diese Wirkstoffe wirken schmerzlindernd und beruhigend, sind aber zugleich hochgiftig und können in zu hoher Dosierung Halluzinationen, Krämpfe oder sogar den Tod verursachen.
In der Volksmedizin wurde die Alraune früher als Narkotikum, Schmerzmittel oder Beruhigungsmittel eingesetzt, etwa bei Schlafstörungen oder als Anästhetikum. Heutzutage gilt die Pflanze aufgrund ihrer Gefährlichkeit als zu riskant für den Selbstgebrauch. Ihre Wirkstoffe werden heute nur noch in streng kontrollierter Form in der modernen Pharmazie genutzt.
Die rätselhafte Wurzel zwischen Magie und Aberglauben
In Volksglauben und Mythologie galt die Alraune lange als Pflanze mit eigenem Wesen. Ihre oft bizarr geformte Wurzel, die manchmal entfernt an eine menschliche Gestalt erinnert, beflügelte die Vorstellung, sie sei halb Pflanze, halb Wesen – ein lebender Talisman. Wer eine Alraune besaß, dem sollte sie Wohlstand, Schutz und besondere Kräfte verleihen. Sie durfte allerdings nicht leichtfertig behandelt werden: Der Legende nach konnte der Besitzer erkranken oder vom Unglück verfolgt werden, wenn er sie verkaufte, verschenkte oder schlecht behandelte.
In alten Hausapotheken wurde sie daher oft wie ein Familienerbstück aufbewahrt, sorgfältig eingewickelt und regelmäßig gepflegt. Die Alraune galt als Glücksbringer, wurde aber ebenso gefürchtet.
In der Literatur tauchte sie als geheimnisvolles Wesen auf, das zwischen Leben und Magie steht. Der Volksmund nannte sie „Hausmännlein“ oder „Wurzelgeist“, in Sagen wurde sie mit Hexerei und Zauberkunst in Verbindung gebracht. Auch in der modernen Popkultur lebt dieser Mythos weiter, etwa als lebendige Pflanze mit durchdringendem Schrei in phantastischen Geschichten: In den Büchern über Harry Potter schützen sich die jungen Zauberlehrlinge mit flauschigen Ohrenschützern vor dem Schrei der Alraune.
Autorin: Caroline Haller für www.einrichtungsbeispiele.de